Was ist Suchtdruck?
Lass mich raten: du hast den Elefanten eben gesehen?!
Der Grund ist, dass unser Gehirn 'Nicht', nicht kennt. Das Universum im Übrigen auch nicht, deswegen sollten wir uns immer die wundervollsten Dinge wünschen – aber das sei hier nur am Rande erwähnt.
Suchtdruck kannte ich vor meiner Entgiftung gar nicht. Ist auch klar, war ja auch immer etwas da. Suchtdruck tritt erst dann auf, wenn die ach so geliebte Substanz nicht mehr zur Verfügung steht, also nicht mehr konsumiert wird. Du kannst dir das im Grunde genommen so vorstellen, dass du dir über Jahre hinweg in deinem Hirn eine 'Partypipeline' gelegt hast. Jedes Mal, wenn du getrunken oder Drogen konsumiert hast, schrie dein Hirn: 'Juhu' und Dopamin wurde in ordentlichen Mengen ausgeschüttet. Eine fette Party in deinem Kopf also. Dein Belohnungszentrum wurde permanent angesprochen und das hat sich dann eben belohnt und sich riesig darüber gefreut. Das dumme ist jetzt nur, dass die Entscheidung, ein abstinentes Leben zu führen, leider nichts an der 'Partypipeline' ändert.
"Die Partypipeline wurde nun einmal gelegt und ist quasi irreversibel."
Sprich, es kann durchaus sein, dass du in den unmöglichsten Situationen, die dich an den Konsum und an die ach so tollen Zeiten erinnern, plötzlich ein großes Verlangen verspürst, diese Pipeline zu bedienen.
Die gute Nachricht ist aber, dass, je länger du abstinent lebst und je bewusster dir diese Verbindung zu deinem Belohnungszentrum ist, die Momente des Verlangens weniger werden bzw. besser zu bewältigen sind.
Rückfall
Meinen ersten und bisher einzigen Rückfall hatte ich zwischen Entgiftung und Langzeittherapie. Eigentlich war soweit alles gut. 3 Wochen lang ohne Stoff bei Sommer und schönem Wetter war machbar. Eine Woche später saß ich am Strand und irgendwie war ich komplett unentspannt. Ich hatte davor nicht wirklich an Alkohol oder ähnliches gedacht, ich war einfach nur unentspannt, gereizt, hatte mich mit meinem Papa ein wenig in die Haare bekommen und saß nun am Strand und alle Menschen um mich herum gingen mir so unglaublich auf die Nerven. Ich wollte mein Buch lesen, konnte mich aber absolut nicht darauf konzentrieren. Wasser wäre jetzt gut! Also ging ich ins Wasser. Und da war dieses Männchen im Hirn, was die ganze Zeit gesagt hat: 'Trinken, trinken. Los, du musst jetzt trinken! Du hast keine andere Wahl, du musst jetzt trinken. Los, mach, mach, mach jetzt!'
Ich war völlig überfordert und hatte keine Ahnung, wie ich dieses bescheuerte und völlig unerwartete Männchen zum Schweigen bringen kann. Also habe ich gedacht:
"Wird schon Recht haben, also trinken. Bahm! Rückfall."
Im Nachhinein kann ich mir die Situation so erklären: In mir brodelte ein Kessel, der kurz vor dem Überkochen war. Es hat aus allen Löchern gepfiffen. Doch anstatt Dampf abzulassen, habe ich versucht mit Flüssigkeit zu löschen. Das ändert aber leider nichts daran, dass der Kessel am Überschwappen ist. Da hilft viel nicht viel!
Ich denke für jemanden, der dieses Gefühl nicht kennt, ist es auch sehr schwer nachzuempfinden. Ich habe meine Therapeutin während der Therapie einmal gefragt, ob sie weiß, wie sich Suchtdruck anfühlt. Sie meinte dann, dass sie sich das so vorstellt, wie ein richtig leckeres Stück Schokokuchen, welches vor dir steht, du es aber um keinen Preis der Welt probieren darfst. Und ich habe dann entgegnet: 'Und das mal 1 Million!'.
Abstinenz
In den ersten Wochen meiner Abstinenz trat dieses Gefühl noch häufiger auf. Vor allem an Samstagabenden. Normalerweise hieß es ja dann auch, auf die Piste gehen und Partypipeline bedienen. Ging ja nun nicht. Da kein Alkohol da war, ging mein Hirn alle möglichen Substanzen durch, die ich jemals konsumiert hatte. Am Ende ist es auf die grandiose Idee gekommen, nichts mehr zu essen, das kennen wir ja auch. Ich war tatsächlich erschrocken darüber, was mein Hirn da gerade veranstaltet. Hängen geblieben bin ich bei einem Liter Wasser und Wechselduschen. Check! OK, und eine Tür, in die ich getreten habe. Na Hoppala.
Das Gute ist aber, dass ich nun weiß, dass dieses Gefühl wieder vorüber geht. Das dauert manchmal etwas länger aber hält nie über Tage an. Aushalten ist da gut und ablenken. Und dafür sorgen, dass es mir gut geht. Das der Kessel nicht übervoll wird und anfängt zu kochen. Zudem setze ich mich, wenn möglich, einmal am Tag hin und meditiere. Das hat zu Beginn Überwindung gekostet, ist aber eine Übungssache und hilft.
"Wichtig ist, dass du gut für dich selbst sorgst und achtsam mit dir umgehst."
Und was hat es nun mit dem rosaroten Elefanten auf sich? Der Gedanke daran, nie wieder etwas zu konsumieren, löst sicherlich bei allen Betroffenen unglaublichen Druck, vielleicht auch Angst aus. Aber das ist eben die Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen sollte. Jedoch habe ich eines für mich gelernt: wenn ich mir sage, dass ich nie wieder etwas trinken darf und das permanent, dann ist der selbst auferlegte Druck zu hoch. Wenn ich mir aber sage: 'OK, du bist Suchtkrank. Das ist chronisch und ein Rückfall kann passieren.' Dann ist der Druck raus und ich kann mich leichter immer wieder für mich und mein abstinentes Leben entscheiden. Und die Druckmomente, auch die ziehen weiter und vorbei.
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drawing: me
phtot credits: Anna Stoffel; Andrew Robinson // unsplash
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Denis Merboth (Montag, 22 Oktober 2018 19:31)
Ich Liebe diese Vlada:*
Carsten Spira (Mittwoch, 14 August 2019 19:24)
Sehr interessanter Beitrag und schöne Artikelsammlung auf diesem Blog! Gratulation
conny (Mittwoch, 09 Oktober 2019 15:10)
Sehr schön geschrieben!
Danke.
rubberduck (Montag, 26 April 2021 13:28)
Seit einiger Zeit beschäftigen mich die Wörter Rückfall und Vorfall im Zusammenhang mit der Alkoholabhängigkeit. Einige von uns, ja ich gehöre auch zun Club, haben es erlebt, das sich ein " Rückfall" einstellte. Die Gründe hierfür sind ebenso individuell wie unerheblich und keinesfalls zu bewerten.
Nun zurück zu meinem Gedankenspiel:
Für mich steht symbolhaft das Wort Rückfall dafür, dass ich es nicht geschafft habe und ich glaube, dass ich nicht so ganz alleine damit bin. Also zurück auf Anfang und das ganze Programm von vorn; dies verbunden mit der Frage schaffe ich es ein weiteres Mal?
Ersetze ich nun das Wort Rückfall durch das Wort Vorfall ist dies - was geschehen war - ein einmaliges Ereignis und stellt keinen Rückfall dar. Es ist also nicht unbedingt nötig, zwangsläufig zurück auf Anfang gehen zu müssen. Der Vorfall ist für mich somit ein Meilenstein meiner bisherigen Entwicklung und gibt Anlass Rückschau zu halten und in die Zukunft zu blicken.
Für mich hat diese Sichtweise etwas durchaus entlastendes und befreiendes und birgt etwas unglaublich motivierendes für das, was noch vor mir liegt in sich. Oder Anders gesagt: Der Druck ist aus dem Kessel und hat der Zuversicht Platz gemacht. Und nicht "nur" das, ich habe dem Affen und der Hexe meinen gepflegten rechten Mittelfinger gezeigt (sitz!, platz! aus!)!