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Feierabend und 'n Bier

Feierabendbier
Sucht am Arbeitsplatz

Auf das Feierabendbier habe ich mich immer gefreut - oder eben den Feierabendwein, oder - schnaps. Egal welches Wetter, egal zu welchem Anlass. Und irgendwie gehört Alkohol ja auch zu unserer Gesellschaft dazu. Erst gestern hat mir ein trockener und cleaner Kumpel erzählt, dass er auf einer Veranstaltung ausgelacht wurde, weil er Orangensaft getrunken hat und das Fragen gestellt werden, weswegen man nicht trinkt - also nichts alkoholisches. Wer nicht trinkt, gehört auch nicht dazu. Ist nicht trinken nicht cool?

Wenn ich auf Veranstaltungen oder auf irgendwelchen Stadtfesten (was unglaublich selten vorkommt) oder sonstigen Events unterwegs bin und mir Alkohol angeboten wird, dann entgegne ich: "Nein danke, ich bin trockene Alkoholikerin." Meist ernte ich dann im selben Zuge sehr erschrockene Gesichter, weil vermutlich die Wenigsten mit dieser Antwort rechnen. Und zugegebenermaßen bereitet mir das auch ein ganz klein wenig Freude. Aber nicht jeder der nicht trinkt, muss gleich abhängig, schwanger oder sonst etwas sein. Warum ist nicht trinken in unserer Gesellschaft so ungewöhnlich? Zeigt das nicht eigentlich, wie unbewusst wir mit Alkohol und anderweitigen Suchtmitteln umgehen? Bier gehört dazu, Wein gehört dazu - Kippe und Dübel, Medikamente und andere Drogen. Die größte Angst eines angehenden trockenen Alkoholikers, nichts mehr trinken zu können und dabei auch noch über alle Maßen aufzufallen, ist doch dann irgendwie berechtigt, oder etwa nicht? Wer nicht trinkt, fällt auf. Wer trinkt, nicht unbedingt.

Kurzes Statement

Der Artikel über mich und die Sucht am Arbeitsplatz ist nun seit ein paar Tagen auf Zeit Online veröffentlicht und es ist tatsächlich komisch, die eigene Geschichte so in aller Öffentlichkeit zu lesen. Als würde sie gar nicht wirklich zu mir gehören, als würde ich die Geschichte einer anderen jungen Frau lesen und es ist nicht meine eigene. Ist sie aber doch und wenn ich länger darüber nachdenke und die Gefühle hinzu kommen, dann werde ich für einen kurzen Moment in die dunkle Ecke gedrängt, in die ich mich selbst vor fast zwei Jahren über Jahre hinweg drängte. Der Artikel ist drastisch formuliert, aber eine Zeitung braucht dann nun auch eine Story und dann werden manche Sätze auch ein wenig bunter ausgeschmückt. Ich habe nicht über 8 Jahre jeden einzelnen Tag auf Arbeit getrunken. Die Sucht war ein schleichender Prozess. Ich habe über 8 Jahre fast jeden Tag mindestens eine Flasche Wein getrunken und mit der Zeit und mit den Jahren wurde die Menge größer. In den letzten Monaten, beziehungsweise 1 - 2 Jahren vor der Therapie, hatte ich dann oftmals Tage, an denen ich überhaupt nicht mehr ohne Suchtmittel am Morgen konnte. Tage, an denen ich mit Suchtmittel 'besser' funktioniert oder besser gesagt überhaupt funktioniert habe, als ohne und dann habe ich eben angefangen morgens schon zu trinken, damit ich nicht auffalle. Und so komisch wie es klingt und so unbegreiflich es für manch einen zu sein scheint - ich bin nicht wirklich aufgefallen. Ich habe sogar Bewerbungsgespräche geführt und habe davor bis zu einer Flasche Wein getrunken und ich habe die entsprechenden Jobs bekommen. Meine Sucht ist niemandem aufgefallen - ich habe hierzu auch mehrfach Rücksprache mit ehemaligen Arbeitskollegen gehalten.

Hinzu kam auch, dass ich nicht 8 Jahre lang in ein und demselben Unternehmen beschäftigt war - sondern das Unternehmen/ die Agenturen oft gewechselt habe. Aufgefallen ist, dass ich oft 'krank' war. Das waren dann die zahlreichen Tage, an denen die Sucht auf Arbeit aufgefallen währe und somit bin ich an diesen Tagen nicht auf Arbeit gegangen. Das war auffällig.

 

Unerwarteter Weise konnte ich auch ziemlich gut mit unerwarteten Kommentar zu dem Zeit - Artikel umgehen. Das hätte ich tatsächlich so nicht gedacht. Das zeigt mir aber, dass sich die ganze Arbeit 'gelohnt' hat. Einige vielleicht offen gebliebene Statements oder Fragen, würde ich hier gerne aufgreifen: 

"Es fällt auf, wenn jemand alkoholisiert auf arbeit ist!"

Nicht unbedingt. Ich bin, wie gesagt, nicht aufgefallen. Aber ich bin auch nicht mit 3,1 Promille im Blut auf Arbeit gewesen. Ein Abhängiger entwickelt eine Toleranz gegenüber dem Suchtmittel (sei es nun Alkohol oder eine andere Droge). Es kann demnach durchaus sein, dass man mehr auffallen würde, wenn man nicht konsumiert und Entzugserscheinungen auftreten. Für mich waren die angespanntesten Momente die, an denen ich mitbekommen habe, dass mein Alkoholspiegel sinkt und meine Hände und meine Mundwinkel anfingen zu zittern. Ansonsten hatte ich nichts zu befürchtet. Wobei ich weiß, dass ich irgendwann aufgefallen wäre, denn die Sucht ist ein Strudel und zieht dich immer mehr zu Boden.

"Jedes Mal bei einem anderen Kiosk kaufen funktioniert nicht!"

Es kommt darauf an, in welcher Stadt du wohnst. Ich habe in Berlin nahe dem Kottbusser Tor gewohnt. Allein in meiner Straße gab es 4 Spätis. In der näheren Umgebung gab es bestimmt mehr als 10. Hinzu kommen 4 Supermärkte. Ich hätte -  überspitzt gesagt - zwei Monate lang jeden Tag einen anderen Laden aufsuchen können, ohne aufzufallen.

"Kleine Picollo Flaschen kaufen geht doch ins Geld?  Wenn ich Alki wäre, würde ich einfach mal 40 Flaschen kaufen und gut ist."

Ja, das geht ins Geld ABER in meiner Welt war ich auch kein Alki. Rein rechnerisch gesehen ergibt es natürlich viel, viel mehr Sinn, gleich größere Mengen an Alkohol zu besorgen und dann in der Wohnung zu horten. Aber dann wäre das Problem ja offensichtlich und in meiner Welt gab es kein Problem - schon gar nicht mit Alkohol. Schnaps gab es fast ausschließlich nur am Wochenende und das unterwegs, weil Schnaps hieße: größeres Problem und damit Alki (wollte ich aber nicht sein). Ich habe eine Flasche nach der anderen gekauft und das jeden Tag. Meine Wohnung war clean und trocken. Ich habe alle 'Beweismittel' meiner Sucht sofort entsorgt. Somit war ich auch kein Suchti. Um das zu verstehen, muss man denken, wie ein Abhängiger. Ein Abhängiger will natürlich alles andere als Abhängig sein, also wird erst einmal alles abgestritten. Mit schwere des Verlaufs und der Sucht kann sich das Blatt natürlich auch wenden. Jeder Abhängige hat da seine ganz eigene 'Strategie' und Lügengeschichte, die er sich und anderen erzählt.

Und die Arbeit?

Alkohol am Arbeitsplatz
Alkoholabhängigkeit

Auffällig ist, dass die meisten Anfragen, die ich über meinen Blog bekomme, sich um das Thema 'Sucht am Arbeitsplatz' drehen. Das scheint also ein sehr wichtiges und großes Thema zu sein.

Mir liegt es fern mit irgendwelchen Statistiken und Zahlen zu jonglieren und ich werde bestimmt auch nicht die einzig richtige und wahre Lösung für das Problem 'Sucht am Arbeitsplatz' präsentieren können. Was mir geholfen hätte und am Ende geholfen hat war: Reden!

Meine Therapeutin meinte so oft zu mir: 'Frau Mättig, reden ist manchmal wie Zauberei und dann passieren manchmal auch ganz unglaubliche Dinge … '. Natürlich macht der Ton dabei die Musik. Und Abhängigkeit ist ein unglaublich sensibles Thema und ich kann mir nur vorstellen, wie unangenehm es sein muss, den Mitarbeiter darauf ansprechen zu müssen. Aber oftmals braucht es eben den Anstoß von Außen (oder mehrere lieb gemeinte Schläge - bitte nicht wortwörtlich verstehen), um zu begreifen, dass man ein großes Problem hat und schlicht und ergreifend krank ist. Denn Suchterkrankung ist eben auch eine Erkrankung und diese ist chronisch.

 

Im Interview mit der Zeit Online sagt Peter Raiser von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) , dass laut Statistik 5% der Arbeitnehmer in Deutschland ein ernstzunehmendes Alkoholproblem haben und 10% der Arbeitnehmer in gesundheitlich sehr bedenklichen Mengen trinken. Substanzabhängigkeit ist dabei ein persönliches und individuelles Problem. Manchmal spielt ein Faktor eine Rolle, oftmals sind es mehrere. So individuell die Lebensgeschichten, so individuell auch die Abhängigkeit. Wobei Suchterkrankung unter Umständen auch durch Stress auf Arbeit hervorgerufen - oder aber verstärkt werden kann. Sensibilität für dieses Thema ist hierbei wichtig.

„Gerade weil Alkohol so naheliegend, so greifbar und akzeptiert ist, wird er schnell zum Suchtmittel.“

Und somit wären wir wieder beim Ausgangsthema. Wer nicht trinkt, fällt auf - denn oftmals ist sogar in der Unternehmenskultur Alkohol verankert. Das Feierabendbier. Feierlichkeiten und ein Glas Sekt.

Was kann der Arbeitgeber tun?

Eine Kündigung wegen einer Suchterkrankung ist in den meisten Fällen weder verhaltensbedingt, noch personenbedingt möglich. Verhaltensbedingt deswegen nicht, da kein 'Selbstverschulden' des Arbeitnehmers für die Entstehung der Erkrankung zu Grunde liegt. Eine personenbedingte Kündigung kann auch im Falle einer Krankheit ausgesprochen werden, jedoch nur dann, wenn beispielweise seine Wiederherstellung objektiv nicht abzusehen ist - bei einer Suchterkrankung sind die Behandlungserfolge jedoch gut.

 

Ein sehr gutes Beispiel dafür, dass eine Wiedereingliederung in den Betrieb nach anfänglichen Startschwierigkeiten möglich ist, ist das von Denis M. und seinem Arbeitgeber SKW. Die KKH hatte mich darum gebeten, einen Kontakt zwischen ihnen und sowohl dem Arbeitnehmer als auch dem Arbeitgeber herzustellen, die beide bereit wären, über ihre Erfahrungen im Hinblick auf das Thema 'Sucht am Arbeitsplatz' zu berichten . Dieses Beispiel zeigt, dass ein offener Umgang mit der Suchterkrankung sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite eine Wiedereingliederung möglich macht und erfolgreich sein kann. Die vollständige Ausgabe und den Artikel findet ihr hier.

 

Die größte Angst des Arbeitnehmers ist meiner Meinung nach, dass seine Suchterkrankung entdeckt wird und er dadurch seinen Job verliert. Natürlich ist Sucht am Arbeitsplatz ein sehr heikles Thema und birgt ein hohes Risiko von Arbeitsunfällen etc. in sich. Um so wichtiger ist ein Vertrauensverhältnis und ein offener Umgang, sodass Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam eine Lösung finden können.

 

Auf der Website der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) finden sich unter anderem vertiefende und sehr hilfreiche Infos zu den Themen: Suchtmittel am Arbeitsplatz, Intervention und Prävention.

 

In diesem Sinne, einen unverkaterten Start in die Arbeitswoche!

photo credits: Stefan Cosma; Stephan Valntin // unsplash

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