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Familien und Feste

Feiertage
Nichte und Tante

Weihnachten, Ostern oder Geburtstage zu verbringen, ohne einen einzigen Schluck zu trinken habe ich mir vor 1,5 Jahren überhaupt nicht vorstellen können. Heute kann ich mir gar nicht vorstellen, wie ich die Feiertage mit Alkohol überhaupt überstanden habe.

Ich kann mich noch gut an die ganz schlimmen Tage erinnern, an denen ich mich morgens schon gefragt habe, wie ich das eigentlich schaffe? Wie ich dann doch mit spazieren gehe, oder wandern gehe, oder spiele und sogar rede. Eine fette Dunstwolke hüllte mein Hirn ein. Die Angst und damit verbundene Entzugserscheinungen durchdrangen am Morgen meinen Körper und irgendwann waren die Angst und die schlechte Stimmung auch nicht einmal mehr mit dem nächsten Schluck am nächsten Morgen zu bewältigen. Denn mit oder ohne Alkohol durchdrang die Dunstwolke meinen Körper und ich dachte mir: 'Wie soll das jemals wieder gut werden?' Kann ich überhaupt Zeit mit meiner Familie verbringen, ohne dabei das Gefühl zu haben mich entweder selbst zu verlieren oder innerlich zu zerreißen oder zu platzen und damit dann auch zudröhnen zu müssen?

Nicht das ich hier missverstanden werde - ich liebe meine Familie über alles! Ich habe eine wundervolle Familie, die in jeglichen Dingen des Lebens hinter mir stand und steht -wir stehen alle hintereinander und das war manchmal aber auch mein großes Problem. Ich stand hinter allen anderen, am besten noch auf deren Platz und wusste aber gar nicht, wie ich da noch auf meinem eigenen stehen sollte. Also übte ich mich im Spagat und im Jonglieren und wollte irgendwann meinen Platz gar nicht mehr haben, denn der war so unglaublich anstrengend und ich bekam Zerrungen in der Seele. Denn mein von mir selbst erschaffener Platz hieß alle Lasten tragen - sofort und gleichzeitig und ohne, dass mich jemand danach gefragt hat. Ohne das überhaupt jemand davon wusste. Ich habe alle winzigen Stimmungen und Stimmungsschwankungen aufgenommen - ja sogar inhaliert und war ein wandelndes Pulverfass - ohne dass das jemand explizit von mir verlangt hat. Ohne dass mich jemand eines Tages einmal darum gebeten hat. Ich wollte gerne alle Probleme lösen, das am besten gleichzeitig, sodass es allen Recht gemacht werden kann. Und dabei habe ich mich irgendwie vergessen. Ich bin nie vollends explodiert, zumindest nicht in Worten. Vielleicht aber in Taten, in dem ich versucht habe schon vor dem Brand zu löschen. Löschen und betäuben bevor überhaupt irgendetwas die Möglichkeit hat aufzulodern und niemand hat meine Welt verstanden. Angespannt und kompliziert.

Kind sein

Ich glaube als Kind  (obwohl wir Erwachsen werden) sind wir oftmals so sehr mit unseren Eltern verbunden, sodass wir manchmal gar nicht mehr wissen, welche Dinge eigentlich zu uns gehören und um welche Dinge wir uns eigentlich gar nicht zu kümmern brauchen. Wir wollen uns einfach um alles kümmern, damit es unseren Eltern gut geht und wenn es unseren Eltern gut geht, dann haben diese ja auch mehr Zeit, uns zu lieben und somit haben wir dann die Berechtigung dafür, auf der Welt zu sein. An sich geht es doch um das Bedürfnis nach Liebe. Und das tragen wir oftmals sogar so lange mit uns herum, bis wir selbst Eltern von Kindern sind.

"ich baute mir ein netz aus Strategien …"

... und an sich hat das doch eigentlich niemand von mir erwartet. Das Dumme war dann nur, dass diese Strategien einfach nicht geholfen haben. Also in den ersten Momenten schon - es waren ja schließlich auch irgendwie meine Überlebensstrategien - aber gesund waren diese nicht. Also wendete ich diese Strategien an, aber im selben Zuge haben meine Mitmenschen und meine Familie gar nicht verstehen oder nachvollziehen können, was mein eigentliches Bedürfnis war/ist und womit ich eigentlich die ganze Zeit zu kämpfen habe. Somit kämpfte ich an allen Fronten, nur war dieser Kampf recht sinnlos und ich kämpfte letztendlich gegen mich selbst - geholfen hat es weder meiner Familie, noch mir.

Wenn Du es nicht für Dich tust, dann tue es wenigstens für Deine Nichte!

… denn die liebt ihre Tante über alles. Das waren die Worte meiner Mama, als bei mir vollends Game Over  war. Als ich nicht einmal mehr Feste feiern wollte. Als ich gar nichts mehr feiern wollte und die Worte: 'Lieber sterbe ich, als in diese beschissene Klinik zu gehen!' aus meinem Mund sprudelten und selbst meine Eltern nicht mehr weiter wussten.

 

Wenn ich dieses wundervolle junge Mädchen jetzt betrachte während sie beispielsweise Bilder von mir macht oder auf meinem Schoß sitzt oder wir gemeinsam um die Wette rennen oder sie einfach auf mich zukommt und mir eine dicke, fette Umarmung gibt - einfach so, dann bin ich letztendlich froh, die Entscheidung getroffen zu haben, doch in diese beschissene Klinik zu gehen (die am Ende gar nicht so beschissen war). Denn jetzt kann ich eine glückliche Tante Vlada sein - eine Tante Vlada, die nicht nur lächelt, weil es sich so gehört und weil sie alles Recht machen will und dann irgendwann nicht mehr kann. Jetzt kann ich eine Tante Vlada mit klarem Kopf sein und von Herzen lachen und es genießen, wenn dieses kleine Wesen am liebsten jede Sekunde mit mir verbringen würde und an mir dran hängt, wie die wunderschönste Klette auf der ganzen Welt, die ich gar nicht mehr los werden möchte. Heute kann ich wandern, spielen, lachen - aber auch einmal sagen: 'Ich habe keinen Bock!' (obwohl es manchmal schwer fällt). Und was hat geholfen?

#redenhilft

Reden, in dem man wirklich etwas sagt. Reden, indem man mal sein Herz ausschüttet und alles auspackt. Dann liegt alles ausgebreitet auf einem Tisch und man kann anfangen zu sortieren. Reden und sich selbst verstehen. Verstehen, wozu die Strategien gut sind - wofür sie eigentlich stehen und warum diese am Ende nicht aufgehen werden. Reden und sich um sich selbst kümmern. Das gehört zu mir und das gehört zu dir. Zu verstehen, dass ich nicht für alles und jeden verantwortlich bin und mit meinen schrägen Strategien schon gar nicht irgendwelche schrägen Dinge lösen kann, sondern alles noch viel schräger wird.

Das funktioniert nicht von heute auf morgen, das will natürlich alles geübt werden. Die Gefühle und die Tendenz dazu sind immer noch da, aber das Gute ist, dass ich diese Strategie und die Mechanismen jetzt erkenne und heute bessere Entscheidungen treffen kann. Und mit klarem Kopf lassen sich Entscheidungen nun einmal auch viel besser treffen. Betrunken riss mich die Opferrolle in ihren Fluten mit. Nüchtern wirkt irgendwie viel authentischer - ich bekomme mein Leben mit. Ich stehe morgens auf und es tut nichts mehr weh. 

"ich kann nicht das ganze System ändern …"

Spaziergang im Wald
Wald und Sonnenstrahlen

... aber ich kann mich und mein Verhalten überdenken, meine Gefühle fühlen, meine Bedürfnisse äußern, meine Handlungen reflektieren und damit auch ändern. Ich kann liebevoller und achtsamer mit mir umgehen und lernen zu äußern, was ich denke und was ich brauche und immerhin bin ich ja Teil des Systems. Und wenn sich ein Teil im System ändert, dann kann es gut sein, dass sich im selben Zuge auch das System anfängt zu ändern und das  auf gesunde Art und Weise. 

 

Am Ende kannst Du es nur für Dich selbst tun. Denn eins steht fest, Du wirst den Rest Deines Lebens mit nur einer einzigen Person verbringen müssen - und die Person bist Du selbst. Vor Dir selbst kannst Du nicht davonlaufen - Du nimmst Dich und den Rattenschwanz an schönen und unschönen Dingen immer mit. Tag ein und Tag aus hast Du mit Dir zu tun. Deswegen kannst Du auch die Entscheidung, nicht mehr zu konsumieren, nicht mehr zu trinken, nicht mehr zu stoffen - nüchtern zu sein - auch nur für Dich selbst treffen. Denn nur Du triffst die Entscheidung, wie Du mit Dir selbst umgehst. Du selbst bist ja irgendwie auch ein kleines oder großes System und wenn Du dein System ändern möchtest, dann beinhaltet dies auch zu ändern, wie Du über Dich selbst denkst, wie Du mit dir selbst umgehst. Und wenn Du das änderst, dann ändert sich womöglich auch das ganze System.

Feste feiern, wie sie fallen

Und wenn Du weißt, was Du brauchst, dann kannst du deine Story anders schreiben. Dann beginnt der nächste Satz vielleicht mit einem: Ich würde mir wünschen, dass du mehr Zeit mit mir verbringst! Ich würde mir wünschen, dass du dich öfter bei mir meldest! Ich würde mir wünschen, denn ich fühle … .

Dann können wir Feste feiern, wie sie fallen - ohne uns dabei zudröhnen zu müssen, denn dann liegen die Karten auf dem Tisch und dann fühlt sich alles irgendwie viel, viel besser an. Dann wird Familie, immer Familie bleiben - manchmal positioniert sie sich im Schrägliegehang - aber wir können anders damit umgehen und dann fällt ein Lächeln auch gar nicht mehr so schwer.

 

In diesem Sinne wünsche ich die wundervollsten und sonnigsten Osterfeiertage! Passt auf euch auf und bleibt sauber. ;)

photo credits: die wundervollste Nichte auf der Welt & ich

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Kommentare: 1
  • #1

    Ulrike (Sonntag, 28 Juli 2019 10:02)

    Liebe Vlada,

    ich bin gestern auf deinen Blog gestoßen und habe bis nachts darin gelesen. Vielen Dank dafür! Ich habe mich in den Schilderungen deines inneren Erlebens selbst wiedererkannt. Das Gefühl, das passive „Opfer“ der eigenen Lebensumstände (im innen und außen) zu sein, und dann die Befreiung durch den Schritt in die Selbstbestimmtheit (im innen und außen).

    Ich bin weiblich, fünfzig, hochsensibel und seit Ende 2013 trocken, und bin - bei aller Anstrengung, die mein Alltag als alleinerziehende berufstätige Mutter immer wieder auch bedeutet - für mein beständig wachsendes Glück in meinem freien selbstbestimmten Leben zutiefst dankbar.

    Auch für mich ist die eigene Reflexion und der Austausch mit anderen Menschen ein wichtiger Baustein meines glücklichen Lebens (geworden). Seit ich trocken bin, und mich öffnen kann, merke ich, welche Kraft darin liegt, wirklich in [i]Verbindung[/i] mit den mich umgebenden Dingen und ganz besonders auch mit anderen Menschen zu treten. Dieses Gefühl der Verbundenheit hat etwas sehr Heilendes und Stärkendes, und daher danke ich dir für deinen Blog und deine Texte, die zu dieser Art von Verbundenheit einladen.

    Dir alles Gute von Herzen,
    Ulrike