Scham
Keine Ahnung, wann genau es passierte, aber irgendwann wurde aus dem gepflegten Glas Wein eine schlechte Gewohnheit. Und aus der schlechten Gewohnheit Abhängigkeit. Es geschah ganz langsam, fast unmerklich, bis ich nur noch fassungslos betrachten konnte, was aus mir geworden war: ein Schatten meiner selbst.
Ich war 30 Jahre alt und gefangen in einem Leben, das ich nicht führen wollte. Nach außen hin sah es toll aus. Hinter der Fassade hatte der Alkohol das Sagen. Er bestimmte meine Gedanken, meinen Alltag. Er übernahm meine Abend- und indirekt auch meine Lebensplanung. Meine Persönlichkeit verkümmerte, während mein einst so schönes Leben sich auf einen Radius aus Weißwein, Affären und Arbeit reduzierte. Meine Träume verblassten. Vieles, worauf ich einmal Wert legte, erschien mir belanglos. Da, wo einmal mein Selbstvertrauen saß, machte sich Unsicherheit breit. Und Verachtung. Eine fast unerträgliche Verachtung für das, was ich mit mir anrichtete. Wobei mein Alltag sich zunehmend so anfühlte, als wäre ich gar nicht richtig da. Grauburgunder und Chardonnay betäubten mich, egal ob ich trank oder nicht. Sie ließen mich abstumpfen, packten mich in ihre toxische Watte.
Klar, es gab diese Momente, in denen mein Inneres schrie: "Hör auf ! Hör auf damit!" Aber wie? Es erschien mir unmöglich, ein Leben ohne Alkohol zu führen. Unmöglich. Wie zur Hölle sollte das gehen? Alkohol war nicht wegzudenken. Nicht nur, weil jeder in meinem Umfeld trank. Vor allem deshalb, weil ich ja dann dazu stehen müsste, ein Problem zu haben. Ich! Die doch alles hatte, um sich ein schönes Leben aufzubauen: wunderbare Kindheit, liebevolle Eltern, wahre Freunde, gute Ausbildung. Und was mache ich? Werde abhängig und verkacke es. Mich überkam die blanke Scham, wenn ich nur daran dachte, das offen auszusprechen. Ich schämte mich so sehr, dass es mich lähmte. So sehr, dass ich mein Problem lieber ignorierte als es zu lösen.
Schluss damit
Am 18. Juli 2016 wachte ich mal wieder verkatert neben irgendeinem nackten Typen auf, an dessen Namen ich mich nicht erinnern konnte. Vor mir lag ein Tag mit dem ich nichts anfangen konnte. Und in meinem Bauch tobte dieser allzu vertraute Schmerz, dieses dumpfe Gefühl, dass alles in die völlig verkehrte Richtung läuft. Das war nicht neu, aber in diesem Moment war es zu viel. Es gab keinen Paukenschlag, keine Erleuchtung oder so. Dieser Morgen war eher das Resultat vieler falscher Tage. Ich war so müde, ich war's so leid, mich so zu fühlen. Und ich wusste, endlich: Ich muss aufhören zu trinken. Jetzt. Heute. An diesem Sommermorgen traf ich die einzig richtige Entscheidung, meine Gesundheit über meine gesellschaftliche Reputation zu stellen. Für mich einzustehen, egal, was andere dann denken.
Die großartige texanische Wissenschaftlerin Brené Brown bezeichnet Scham als eine Epidemie unserer Kultur. Als Seuche, die in direktem Zusammenhang steht mit Abhängigkeit, Depression, Essstörung, Kummer, Gewalt und krankhafter Angst. Scham ist ihr zufolge dieses unglaublich schmerzhafte Gefühl, nicht genug zu sein, nicht dazuzugehören. Jeder von uns kennt sie, mal abgesehen von Soziopathen. Und jeder von uns neigt dazu, sie zu verschweigen und zu verheimlichen. Was genau das Falsche ist. Denn dort, im Geheimen, potenziert sie ihre Macht über uns. Sobald wir jedoch anfangen, über unsere Probleme zu sprechen, unsere Geschichte zu erzählen und dazu zu stehen, wer wir sind, brechen wir diese Macht.
Das zu verstehen war ein Meilenstein für mich. Danach zu handeln mein Befreiungsschlag. Mich zu meiner Abhängigkeit zu bekennen, darüber zu reden, hat mir ermöglicht, sie zu überwinden. Letztendlich befreite mich also genau das, was mir am unmöglichsten erschien.
Nicht allein
Heute, gute drei Jahre nach diesem Sommer, gehe ich noch einen Schritt weiter und starte einen Podcast, in dem ich offen über mein Alkoholproblem spreche und Schicksalsgefährten zu ihrem interviewe. Es ist ein Riesenschritt für mich, es ist ein Outing, es ist mein Herzensanliegen. Weil ich gelernt habe, wie wichtig es ist, die Maske abzunehmen und seine Geschichte zu erzählen – für sich selbst und für diejenigen, die noch kämpfen. Und die dringend hören müssen: Du kannst das auch schaffen. Du bist nicht allein.
Natürlich bist Du nicht allein. Alkohol ist eine hochgradig süchtig machende Droge. Aber wir tun so, als wären diejenigen, die ein Problem entwickeln, das Problem. Ich will diese Ignoranz nicht länger hinnehmen. Dieses verdammte Stigma, das bei so vielen dazu führt, dass es immer und immer schlimmer werden muss, bevor es besser werden kann. Schluss damit. Wir müssen reden.
Denn seine eigene Scham zu überwinden bedeutet immer auch, andere zu ermutigen, eine Hand zu reichen. Wer zeigt, dass es geht, weist einen Weg hinaus aus dem Sumpf. Nichts schenkt so viel Selbstvertrauen als zu sehen, wie viele kluge, tolle Menschen den Alkohol ebenfalls besiegt haben. Menschen wie Vlada, wie Daniel Schreiber, wie Holly Whitaker, wie Laura McKowen, Catherine Grey, Sasha Tozzi oder Lisa Schmith. Ihr alle tragt dazu bei, dieses elende Tabu zu brechen. Ab heute kämpfe ich an Eurer Seite.
Nathalies Podcast heißt "Ohne Alkohol mit Nathalie". Ihr findet ihn in allen gängigen Podcast-Apps und auf ihrer Website (https://oamn.jetzt).
Auf Instagram findet Ihr sie unter @nathaschka.
photo credtis: Seth Doyle // unsplash; Nathalie Stüben
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Andre (Freitag, 11 Oktober 2019 13:52)
Liebe Nathalie, danke für diesen ehrlichen Beitrag und Dein bestreben aufzuklären. Das freut mich sehr. Ich war auch Jahrelang abhängig und habe es geschafft mich vom Alkohol zu befreien in dem ich eine Langzeittherapie gemacht habe. Das war die beste Entscheidung in meinem Leben. Ich möchte gern mein Klinikverzeichnis verlinken ich hoffe das ist ok. Hier finden abhängige unkompliziert eine Klinik in der Sie eine Langzeittherapie beginnen können. Die Seite heist https://www.alko-hohl.de Liebe Grüße André
Uwe Schumacher (Samstag, 19 Oktober 2019 13:31)
Liebe Nathalie, dein Beitrag in 3nach9 war beeindruckend, dein offener Umgang mit diesem Volksproblem ein Vorbild für viele die sich fürchten, schämen, davor Farbe zu bekennen. Mein Weg war länger als deiner, doch tut das nichts zur Sache. Genau wie du, habe ich getrunken weil ich es wollte, es dazu gehörte, mir auch gefiel. Aus Geselligkeit wurde dann Sucht. Wann, wie, ich weiß es nicht mehr. Nach einigen Trockenphasen, begann der Sog in den Abgrund. Es ist eine grauenhafte Erfahrung, die ich machen musste, bevor ich es richtig kapiert hatte. Körperlich hatte ich mich zum Wrack gemacht (Chance zum Überleben 50-50), Familie kaputt, jegliche Kontrolle verloren. Die Wahl war: Kämpfen oder untergehen. Ich lebe noch, besser gesagt wieder. Mit Schäden, doch einem guten Gefühl das ich es schaffen kann. Seit ca. 4 Jahren nun nüchtern.
Alkohol ist die Droge unserer Gesellschaft, preiswert, leicht zu beschaffen, akzeptiert.
Mach weiter mit deinem Engagement, deiner Kampagne, jeder einzelne ist es wert gerettet zu werden.
Liebe Grüße Uwe
Simon Schiller (Sonntag, 05 Januar 2020 16:42)
Also ich finde ja der Glückbringer bei mir sind aktuell Räuschermischungen, ich nutze diese Regelmäßig und sie erfüllen mich von Glück, man muss bisschen auf die Dosierung achten dann ist das ne super Sache, mein Liebling aktuell ist https://rauchkutsche.eu/produkt/global-baaam/
Also kann man nur Empfehlen sich sowas zu kaufen, vorallem ist es leicht über das Internet bestllbar.
Andreas Schier (Freitag, 01 Mai 2020 13:35)
Liebe Natahalie,
gratuliere, Du bist eine starke Persönlichkeit,kreativ, offen, sensibel sehr mutig und unglaublich Ehrlich. Du weißt genau mit den " SKILLs" offenkundig gut damit um zu gehen, weil Du, wie auch ich diese Dinge ernst und auch realistisch siehst, so wie sie sind. Ich selbst betroffen, nie bei einer Entgiftung, oder körperlich Abhängig . Dennoch sind mir die Gefahren sehr bewußt, was dieser Alkahol aus einem machen kann, wenn man es zuläßt, über mögliche Konsequenzen nicht nach zu denken und seine selbst errunge rote Ampel aus dem eigenem Focus mißachtet. Ich selbst Musiker, Orchester, Tonstudios,Autor, mit hoher Verantwortung, welche ich stets positiv umsetzte. Ich bin als melancholisch hochsensibel, diagnostiziert und unterlag einer psychischen Abhängigkeit, in einem Rad der Beziehung mit kontrolierten eigenem Alkoholmißbrauch. Wärend sich in meiner glücklich - verzweifelten Ehe, mit einer schönen lieben Frau, die unter versteckten Narzismus und Burnout - Syndrom, mein Grundkonflickt Alkohol schleichend auch als Helfersyndrom unwissendlich in mir festigte, suchten schleichende Demonen meinem Verlust aus Balance, wärend meiner künstlerischen Chariere mein bisheriges Leben zu mißachten. Es entstanden in mir geteilte Sorgen, wärend dem kontrolierten Alkohol, meiner narzisstischen Frau, meinem Helfersyndrom, meiner Musik, meiner noch nicht veröffentlichen Autorentätigkeit ( Erzählband PC-Seite 320) ,nachfolgend 5 unerwartete Familien-Todesfälle. Darunter war auch Suizid in meiner gut bürgerlich,herzlich , aufgeräumten Familie. Es entstand in mir peinliches Selbstmitleid, Eigenvorwürfe, Trauer, Wut aus tiefgreifend. innerlich, emotional, ershnte Konfliktverarbeitung guter, alter, frustrierend, liebevoller Beziehungserlebnisse. Mein Leben meisterte ich weitgehenst zu 90 % ohne Alkohol und erkannte den Zusammenhang zwischen " Quovadis" und mir.
"Oh Du meine liebe Seele in mir, ich liebe Dich und Danke Dir dafür."
Andreas Schier
Andreas Schier (Donnerstag, 18 März 2021 20:17)
Hallo Nathalie,
nun versuch ich es noch einmal auf diese Weise. Meinen letzen Beitrag über verschwindende Hilfe von Seiten der Politik habe ich gesendet, aber nicht mehr gefunfden. Mit "haha" hattest Du mir nach Deiner TV - Präsentation per E-mail geantwortet, vordem ich Dir eine E-Mail am ( Freitag.01.März 2020 um 13:15 sendete). Lange her. Du hast in dieser Zeit eine pravoröse Arbeit geleistet. Gratuliere. Ja ich war und bin der Musiker, Autor aus Dresden, bisher glücklich und Erfolgreich ohne Alkohol.
Ein kleines 3x einmaliges Erlebnis aus 2020 mit Alkohol !
Nur mit der sozialen Interaktion habe ich noch meine Zweifel, ohne zu stolpern sich rechtfertigen zu wollen ?, was ich ja auch nicht muß. Manchmal gewinne ich den Eindruck von einen mir gegenübersitzenden Gesichtsausdruck, speziell zu einem neuen Dating auf leisen Unverstand.
Was..............? Du trinkst kein Alkohol.................................................... ?, bist Du krank.................................. ?
Vor einem Jahr trank ich deßhalb bei drei verschiedenen Damen-Dating je ein Glas Rotwein mit Wasser. Seit dieser Zeit nie wieder. Erstens schmeckte es mir nicht, wie auch das Datinggespräch fruchtlos langweilig war, hatte ich zugleich auch meinem Rückschritt bereut.Na gut für mich eine lapalie. Aber manchmal stellt sich für mich eben die Frage, soll ich wegen Anderer mich herablassen und Nachsicht üben ? mir gegenüber gnädig sein ?, obwohl ich mit dieser Situation prima umgehen kann. Was mich daran ärgerte war, wegen diesen langweiligen Datinggespräch noch Wein getrunken zu haben, der mir ohnehin nicht schmeckte. Fazit: grübeln, was wäre wenn wieder ?
Mit meinem Projekt als Soloselbständiger - Schule - Podcast, "Kinder interviewen Kinder" und meinem Erzählband " Ordnung im Chaos", geht es trotz Corona gut voran und ich spiele & improvisiere viel an meinen Frettlessbass und schreibe weiter je nach Bedarf Online-Beiträge. Ich habe dazu auch einen Projekt - Partner gefunden ( freie Waldorfschule). Ich wurde letztes Jahr, über meine Arbeit durch die Kulturstiftung Sachen prämiert und dieses Jahr geht es so entuisiastisch - gesund weiter. Ich bin begeisterter Leser Deiner Arbeit liebe Nathalie. Sicher schreiben Dir 1000...de Menschen, desshalb will ich Dich nicht länger von Deinem Mutterglück abhalten und Schluß machen mit den besten und herzlich - lieben Grüßen Dir und Deiner Familie von Andreas aus Dresden.
Deine Antwort an mich.
"haha, diese Nachricht hat aber mal eine Reise hingelegt, wow! Ich danke Dir herzlich für Deine warmen Worte. Vor allem aber gratuliere ich Dir zu Deiner Abstinenz. Wie großartig!
Mach bitte weiter so.
Alles Liebe
Nathalie"
Mein Beitrag vor drei Tagen.
Politik und ihre mäßige Aufklärung zur Alkohollobby !
Liebe Nathalie, du bist unheimlich Aufmerksam-fleißig und ehrlich.
Das Thema, zudem wir uns schon ein mal ausgetauscht haben. Alkohol-Lobby!
Es ist eine Politikerlüge, " Die Angst vor der eigenen Angst", weil es dort intern viele Betroffene mit Alkoholmissbrauch und noch mehr gibt.
Diese Peinlichkeit darf niemals das Eventparkett der Öffentlichkeit betreten,
zudem man hauptsächlich an der gesellschaftlichen Gewinnmaximierung von Steuereinnahmen und ihr Eigeninteresse an Diäten interessiert ist. Die soziale Interaktion
(Prävention - Aufklärung - Hilfe), bleibt weiterhin ein Zentrum hinter dem schwarzen Loch, aber
dagegen zu agieren, lohnt sich mit Recht. Viel Glück für alle Beteiligten.
Mit vielen Grüßen von Andreas.