Ich liege auf dem Teppich meiner Mutter. Meine Hündin liegt neben mir. Ich liege da. Ich liege auf meinem Rücken, meine Beine und Arme seitlich von
mir gestreckt. Mein Hund schläft neben mir. Ich liege mit meinem Kopf in Richtung Fenster. Shavasana. Endentspannung. Ich blinzel mit meinen Augen, die Sonne kitzelt auf meiner
Stirn. Eigentlich sollte ich jetzt entspannen aber es fühlt sich so schön an. Ich muss meine Augen öffnen. Ich schaue der Zimmerdecke entgegen. Ich sehe Sonnenstrahlen. Nicht
einzeln, vielleicht gebündelt. Eigentlich kann man Sonnenstrahlen gar nicht sehen. Was sehe ich denn da? Licht? Ich sehe die Sonne. Ich drehe meinen Kopf langsam nach links.
Meine Hündin hat sich direkt neben mich gelegt. Ihr Kopf liegt nun ganz nah an meinem. Das tut sie fast immer, wenn ich Yoga praktiziere. Zunächst einmal legt sie sich auf meine
Matte, sobald ich sie ausgebreitet habe, dann lege ich ihren kleinen Teppich neben meine Yogamatte und sie schläft neben mir ein.
Shavasana. Das soll eine der wichtigsten Asanas sein. Ich liebe die Endentspannung, weil ich mich manchmal so selten entspannen kann. Ich schaue
meine Hündin ein wenig länger an. Meine Stirn wird warm und ich überstrecke meinen Kopf ganz leicht und schaue aus dem Fenster. Die Sonne scheint. Ich sehe den Himmel und die
Wolken. Ich schaue aus einem Zimmer in die ganze Welt. Das ist Leben. Für diesen Moment lohnt es sich zu leben. Solche Momente habe ich in letzter Zeit
oft. Das freut mich. Zwischen all den Wünschen, Träumen, zwischen all den Gedanken, die durch meinen Kopf kreisen und mir manchmal gar keine Ruhe geben und ich mich gehetzt fühle, zwischen all
den Dingen, von denen ich denke, dass sie das Leben sind, dass sie 'das Leben in vollen Zügen genießen' sind, zwischen all den aneinander gereihten
Momenten gibt es die ganz besonderen. So wie diesen hier. Die Momente mit den warmen Sonnenstrahlen auf meiner Stirn und den geschlossenen Augen meiner Hündin neben mir. Ich
schaue mit warmer Stirn in Richtung Himmel und sage innerlich ganze leise: „Danke!“ Ich glaube, dafür lohnt es sich zu leben. Wenn ich einmal sterbe, dann werden mir - so glaube
ich zumindest - nicht meine To – Do's in Erinnerung bleiben. Ich habe die romantische Vorstellung, dass am Ende meines Lebens die
Sonnenstrahlenmomente überwiegen werden und ein Lächeln auf meinem Gesicht bleibt. Es werden die Momente bleiben, in denen ich an der Elbe spazieren gegangen bin
und meine Hündin mit einem riesigen Grinsen in ihrem Gesicht mit vollem Karacho auf mich zu gerannt kommt. Es werden die Momente bleiben, an denen ich mich daran erinnere, wie wir Konzerte in
Wohnzimmern gegeben haben, mein Bruder den Sopran übernimmt und wir vor lauter Lachen kaum noch einen Atemzug tätigen können. Ich glaube, es werden die Momente bleiben, in denen wir wirklich da
waren. Gänsehaut, Freudentränen, Schauer über meinem Rücken. Ein springendes Herz. Zwei Blicke, die sich berühren. Ohne Worte.
In meiner Kindheit hatte ich diese oft. Es gab Momente, an die ich mich heute noch erinnere, als hätten sie sich für immer in meinem Gedächtnis eingebrannt. Momente, in denen etwas durch meinen Körper und meinen Geist fuhr und ich wusste, an diesen Moment werde ich mich immer erinnern. Diese Momente sind nach all den Jahren wieder da. Ich habe mich vermisst. Ich habe mich wirklich aus tiefstem Herzen vermisst. Irgendwann hatte ich meine eigene Hand losgelassen und war getrennt von mir selbst.
Manchmal gibt es Momente, in denen möchte ich weinen. Manchmal gibt es Momente, in denen weine ich. Und manchmal fühlen sich diese schön an. Manchmal weiß ich gar nicht, warum ich eigentlich weinen möchte. Aber manchmal verliebe ich mich sogar in die Verletzlichkeit. Manchmal verliebe ich mich in den Moment, in dem ich nicht mehr hart bin und versuche alles zusammen zu halten. Manchmal verliebe ich mich in das Zerbrechliche, weil alles kommt und geht und nichts wirklich für immer ist. Einen Moment kann ich nicht festhalten, das konnte ich noch nie. Selbst in meiner Erinnerung ist er nicht mehr derselbe und ich bemale ihn mit fremden Farben und Schattierungen. Vielleicht male ich mir manchmal die Dinge auch schön. Warum eigentlich nicht? Denn ich hoffe, am Ende werde ich mich nur an die schönen Dinge erinnern.
In letzter Zeit – oder auch fast immer – wird mir gesagt, dass ich stark bin und stolz sein kann. In letzter Zeit wird mir oft gesagt, dass ich stolz sein kann, dass ich gekämpft habe und gewonnen habe und dass das andere auch wollen, aber vielleicht nicht schaffen und versuchen immer und immer weiter zu kämpfen, aber ohne Erfolg. Der Zauber meiner heutigen Momente liegt darin, dass ich aufgehört habe zu kämpfen. Seit über zwei Jahren kämpfe ich nicht mehr. Ich habe den Kampf gegen mich selbst aufgegeben. Meine „Stärke“ liegt rückblickend betrachtet einzig und allein darin, dass ich mich Schicht um Schicht entblößt habe. Im damaligen Kampf war ich mitunter so fragil, ich wollte aber nie zerbrechlich sein. Wir dürfen aber verletzlich sein.
Ich sitze auf einem Teppich in der Wohnung meiner Mutter. Ich praktiziere Kundalini – Yoga. Mut zu etwas Neuem. Wenn du etwas ändern möchtest, dann
solltest du neue Dinge wagen. Dann könntest du dich zu erkennen geben. Wir schämen uns viel zu oft und das ist schade. Ich praktiziere Kundalini – Yoga. Ich sitze da und singe und atme.
Feueratmung. Und dann singe ich wieder und halte meine Finger ganz besonders. Ich schließe meine Augen und schaue von Innen auf den Punkt in der Mitte meiner Stirn. Ich halte meinen Körper in
einer Art und Weise, die mir geistig den absoluten Abfuck gibt und ich atme. Ein und aus, ein und wieder aus und meine Bauchdecke bewegt sich im Rhythmus. Ich
frage mich, woher ich dieses Gefühl kenne? Aggressionen steigen auf. Ich kann die Scheiße nicht mehr halten! Doch du kannst! Los mach jetzt.! Nicht denken, atmen! Und
fühlen.
Ich weiß, woher ich dieses Gefühl kenne – so fühlt sich Suchtdruck an. So fühlt es sich an, wenn deine Welt innerlich zerplatzt und du versuchst deinen Scheiß zusammen zu halten. So
fühlt es sich an, wenn du das Gefühl hast, dass du Gefühle nicht aushalten kannst. Dass die Welle zu groß ist und du nicht weißt, wie du sie nehmen sollst. Meine Bauchdecke
pulsiert auf und ab und innerlich zerfetzt es mich manchmal fast. Und dann, wenn das Atmen vorbei ist und ich nur noch völlig nackt übrig bleibe, dann fange ich manchmal an zu weinen und verliebe
mich auch in diesen Moment. Dann liege ich auf einem Teppich in der Wohnung meiner Mama. Meine Hündin liegt mit geschlossenen Augen Kopf an meinem Kopf neben mir. Ich liege auf
meinem Rücken, ich entspanne mich. Die Sonne berührt mein Gesicht. Shavasana. Ich öffne die Augen, obwohl ich nicht sollte. Ich überstrecke meinen Kopf ganz leicht, um den Himmel zu betrachten
und meine Stirn in Richtung Sonne zu strecken. Ich schaue mir den Himmel an. Meine Augen könnten sich beinahe mit Tränen füllen und ich weiß, auch das geht vorbei.
photo credits: Ava Sol; Agathe Yosefina // unsplash
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