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HerzSuchtWut

Ich spüre eine Spannung irgendwo in meinem Brustkorb. Ich beiße die Zähne zusammen, mein Kiefer ist verspannt und meine Schultern nach oben gezogen. Ich kneife die Augen zusammen. Irgendwo tief aus der Magengegend steigt ein brodelndes Nein empor. Es steht mir bis zum Hals, füllt meine Kehle und will raus - als Schrei, als Schlag, als Schlussstrich, als Grenzstrich, als Linie im Sand, als “Bis hierhin und nicht weiter”. Doch mein Mund bleibt zu. 

 

Ich atme. Ich atme in der Hoffnung, dass meine Amygdala, mein Stresszentrum im Hirn, sich beruhigt. Ohne Erfolg. In meinem ganzen Körper ist ein Ausnahmezustand, der sagt: Fight or Flight. Rennen oder Kämpfen. Irgendwas. Tu jetzt irgendetwas. Doch ich bleibe stehen. Tue nichts. Ich kneife den Mund zu. 

 

Alles was herauskommt, ist gequirlte Reflexionsbrühe: Ach, das war mein Ding, sage ich zu meinem Partner, der mich an meinem Geburtstag nicht angerufen hat - Eigentlich ist es ja meine Schuld, dass mir Geburtstage wichtig sind. Ach, es sind einfach die Umstände, die gerade schwierig sind, sage ich zu meiner Chefin, die mich wissentlich überlastet. Ach, die meinte es nicht so, sage ich über eine Freundin, die immer wieder meine Bedürfnisse missachtet. Ach, man muss sich eben arrangieren, sage ich zu mir, weil mich die Politik verzweifeln lässt. Ach, meine gute Arbeit spricht für sich, sage ich, wenn mich ein männlicher Kollege in einem Meeting unterbricht. Ach, mir ist am wichtigsten, dass er Hilfe bekommt sage ich zu der Mutter des Mannes, der mich vergewaltigt hat. 

 

Und das Nein, das in meiner Kehle steht, bleibt dort. Langsam schiebe ich es zurück dorthin, wo es her kam, schiebe es hinter die Ach-Najas, die Meine-Schulds, die Wird-Schon-Wieders, die Ich-Versteh-Dich-Jas.

Dann trinke ich.

Jetzt darf ich sagen: Dann trank ich. 

 

Doch es ist und bleibt mein größter Trigger: machtlose Wut. Spannung ohne Lösung. Aggression, die nicht sein darf. Alkohol spülte sie hinunter und schrieb die kleinen und großen Verletzungen und Demütigungen und Verbiegungen an meine Innenwände. Und Alkohol wäre auch eine super Lösung gewesen, wenn meine Probleme wirklich meine eigenen Grenzen wären, und nicht der Umstand, dass sie überschritten wurden.

Wer trinkenden Frauen zuhört (oder selber eine ist oder war), wird davon wenig überrascht sein. In einer Welt, in der weibliche Wut als Hysterie gelesen wird, erfahren Mädchen und Frauen schon früh, dass ihre Wut im besten Falle zweitklassig und im schlechtesten Falle verboten ist. 

Natürlich fühlen auch Männer Wut sowie Scham in Verbindung mit Wut. Bei Männern verstärkt die Wut allerdings die traditionellen geschlechtsspezifischen Erwartungen – bei Frauen erschüttert sie diese. Dieser Konflikt kann ein ganz schöner Mindfuck sein.

Und eben weil Wut bei Frauen als unsympathisch und unattraktiv gilt, als schrill, hysterisch, “schwierig”, bitchy, oder was auch immer man über Hillary Clinton sagte, wenn sie mal einen Hauch dominanter auftrat; und weil ich natürlich so nicht wirken möchte; und weil ich ein anpassungsfähiger Mensch bin, habe ich sozial akzeptable Wege gefunden, um Unbehagen und Wut zu verinnerlichen oder zu kanalisieren. Eine Studie von 2004 stellte allerdings fest, dass genau dieses Verhalten mit einem erhöhten Risiko von passiv-aggressivem Verhalten, Angst oder Depressionen einhergeht. Ups. 3 von 3.

 

Ja, ups.

 

Ich würde gerne sagen, dass diese Erkenntnisse dazu führten, dass ich wie die Siegesgöttin Nike hinaufstieg, das Schwert in der Hand und einen Bannkreis aus lodernden Flammen um mich herum zog, die jeden in Brand setzen würden, der es wagte, mir auch nur ein metaphorisches Haar zu krümmen. Stimmt aber nicht. 

Es ist eher so: Ich habe das halt irgendwie erkannt, dass ich ein Problem mit Wut habe und bin irgendwie nüchtern geworden und muss jetzt, bevor ich als Siegesgöttin die Rächerin aller missachteten Frauen werden kann, mit einem viel kleineren Projekt anfangen: Erkennen, wenn ich wütend bin. Denn viel zu oft habe ich meine noch lodernde Wut genommen und einfach umbenannt: Trauer, Enttäuschung, Stress, Unausgeglichenheit, Selbsthass – ganz egal was es war, diese Umbenennung in Gefühle (die natürlich trotzdem existieren) dienten in erster Linie dazu, meiner eigenen Wut die Schlagkraft zu nehmen und die Stoßrichtung statt nach außen, nach innen zu wenden. 

Nicht umsonst ist es ein wichtiger Bestandteil in allen meinen wichtigen Freundschaften mit Frauen, sich gegenseitig zu bestätigen, dass es okay ist, das zu fühlen, was man gerade fühlt. Dass man das Recht darauf hat. Dass man nicht immer alles verstehen muss, sondern eben auch sagen kann: Nein, das möchte ich nicht. Nein, dieses Verhalten hat Konsequenzen oder Nein, das verzeihe ich nicht. 

Und falls auch du es einmal hören musst: 

Atme durch. Entspanne deinen Kiefer. Lass deine Schultern sanft nach unten fallen.

“Nein!” ist ein vollständiger Satz. Wenn jemand dein Nein ignoriert, abspricht, abschwächt oder versucht auszudiskutieren, ist das ein aggressiver Akt und ein Grenzübertritt. Wut ist eine ganz normale Reaktion, die dir zeigt, wo deine Grenzen liegen. Du musst nicht alles verstehen. Du musst nicht jede Beziehung retten. Du darfst Menschen verlassen. Du darfst Konsequenzen ziehen. Du musst nicht jede Spannung halten und zu deiner eigenen machen. 

"Du darfst wütend sein."

Mareike ist Kulturwissenschaftlerin, Redakteurin und Bloggerin. Sie hat ein Faible für populäre Kultur und streichelt gerne Hunde, wo sie ihr begegnen. 

photo credits: Dmitri Kolesnikov; Aaron Blanco // unsplash; Simona Bednarek

 


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