Es war ein Mittwoch Nachmittag, ich hatte meine paar Stunden gearbeitet. Corona-Krise, Kurzarbeit, das Leben der Menschen ist eingeschränkt und gleichzeitig hat man so viel mehr Freizeit als sonst. Die ersten warmen Tage beginnen und ich sitze mit einem schönen Mann am Rhein.
Mein letzter Rausch ist 32 Tage her, meine nächste Verpflichtung ist in 6 Tagen, wenn ich wieder arbeiten muss. Meine Uni liegt auf Eis, meine Wohnung ist geputzt, mein Körper fühlt sich stark und sicher. So die Rechnung in meinem Kopf.
Und dann habe ich plötzlich ein kaltes Bier in der Hand, während im Hintergrund softer Hip-Hop läuft. Bestes Leben. So fühlt es sich an. Day-Drinking, Easy-Flow, der warme Rausch macht sich im Innern breit, während mir von außen die Welt nahezu perfekt erscheint.
Circa 15 Stunden später, oder sagen wir besser 4 Liter Bier, 200 ml Vodka und ein paar künstliche Endorphine später, ist die Welt wackelig, fremd, beängstigend und schmerzhaft.
Was ist passiert?
Ich habe mich berauscht, das ist passiert. Nicht an meiner freien Zeit, an meiner netten Gesellschaft oder der lauen Frühlingsnacht, nein. Ich habe mich an Rauschmitteln berauscht, die für mich perfekt zu den anderen Umständen gepasst haben. Und nachdem die Wirkung nachgelassen hat, ich nicht einschlafen konnte und gezwungen war mit mir und meinen Gedanken wach zu liegen, war da nur noch diese Leere und die Angst. Das Gefühl von Sinnlosigkeit und Versagen. Auch dieser Tag war sonnig, schön und frei, aber ich fühlte mich nur grau, hässlich und gefangen.
Was wollte ich?
Sein wie „die anderen“, wie die ohne Alkoholproblem. „Das Leben genießen“, unbekümmert sein und jugendlichen Leichtsinn ausleben – leicht einen sitzen und keine Termine ... nice.
Was hatte ich?
Leicht bis mittelschwer einen sitzen und keine Termine....hm. Fühlte sich währenddessen perfekt an, danach total scheiße.
Warum klappt das nicht mehr, dass es sich nur gut anfühlt - Wieso geht es mir nicht wie den anderen um mich herum, die das machen und dann eben einen Kater haben?
Kater – ist doch voll normal, halber Tag scheiße und dann geht’s einfach weiter. Aber für mich fühlt es sich nach so viel mehr an.
Warum?
Weil ich in den letzten 20 Jahren meines Lebens in eine Abwärtsspirale rein geraten bin, die sich Alkoholismus nennt. Weil ich knapp 10 Jahre unter meinem ständigen Konsum gelitten habe, körperlich und seelisch, ohne es zu spüren. Weil ich mich verloren hatte und keine Verbindung zu mir selbst mehr da war, ohne es zu bemerken. Ich hatte kein Vertrauen mehr in mich und das mir das so sehr fehlte, war mir lange nicht bewusst. Wie vermisst man etwas, das man vergessen hat?!
Ich machte auf meine Art weiter, bis mein Leben spürbar bröckelte, bis ich Jobs verlor, Geld verjubelte, Beziehungen nie zustande kamen oder einfach nur belastend waren. Bis ich merkte, dass mein Körper an seine physischen Grenzen kam, bis ich durch und durch krank war.
Und dann kämpfte ich mich aus diesem Sumpf wieder mühsam heraus - ich kämpfe immer noch! Ich krabbelte auf allen Vieren zurück zu mir, zurück in meinen Körper und streckte die Hand aus, nach meiner Seele, die sich irgendwo in eine dunkle Ecke verzogen hatte, um Schutz zu suchen. Ich ermutigte sie, mir wieder zu vertrauen, mit viel Kraft, Ausdauer und permanenten Beweisen, dass sie keine Angst mehr zu haben braucht. Dass ich da bin und sie nun beschütze, damit sie mir vergibt und wir wieder zusammen sein können. Das alles habe ich getan und es hat funktioniert, nach und nach, Schritt für Schritt, nach vorne, nach hinten, nach vorne.
Meine Seele will mir wieder vertrauen. Ich will mir wieder vertrauen. Da ist so viel Liebe!
Und dann kommt dieser Mittwoch, der warme Tag, die nette Gesellschaft und die freie Zeit....dann werde ich wieder leichtsinnig. Dann spiele ich mit dem Feuer und setze die zarte Verbindung des Vertrauens zwischen mir und meiner Seele massiv aufs Spiel, indem ich sie und meinen Körper mit Rauschmitteln erschüttere. Diesmal ist es von außen betrachtet irgendwie „gut gegangen“, es war lange nicht so schlimm, so viel, so wild, wie unzählige andere Male zuvor. Aber wozu das Risiko eingehen? Wozu den ersten Domino Stein, der eine unkontrollierbare Kettenreaktion in Gang setzt, todesmutig antippen? Wozu das Vertrauen in mich selbst gefährden? Für ein paar Stunden High-Gefühl?
Ja genau! Nur dafür, für sonst nichts. Diese paar Stunden sind mir mehr wert, als ein permanentes Gefühl von Verbundenheit, Ruhe, Stärke und (Selbst-)Vertrauen.
Das ist doch Wahnsinn.
Oder besser gesagt: Das ist Sucht.
Text: Luana Juliano // Insta: luana_lucia_7
Photo: Luana Juliano // Art Work: Luana Juliano
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