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Die Flucht in die Sucht

“Jede Abhängigkeit entsteht aus der unbewussten Weigerung, deinen eigenen Schmerz anzuschauen und zu durchleben. Jede Sucht beginnt mit Schmerz und endet mit Schmerz. Egal wovon du abhängig bist – Alkohol, Essen, legale oder illegale Drogen oder eine Person –, du benutzt etwas oder jemanden, um deinen Schmerz abzudecken […] Jede Sucht erreicht einen Punkt, wo sie für dich nicht mehr funktioniert, und dann fühlst du den Schmerz stärker als je zuvor.” (Eckart Tolle)

 

Es gab eine Zeit, da dachte ich, ich hätte eine Borderline-Störung und um die dafür typischen Gefühle der Zerrissenheit auszuhalten, muss ich eben trinken, Drogen nehmen oder mich mit maßlosen Fressattacken betäuben. Später war ich dann wegen ADS in Behandlung und bekam Ritalin verschrieben, doch das half nichts, außer dass ich die Tabletten ständig überdosierte, kaum mehr etwas aß und nachts nicht einschlafen konnte. Nach einiger Zeit dann war ich mir sicher, dass ich von meiner Mutter die Depression geerbt habe und Antidepressiva die beste und einzige Lösung für mich sind.

 

Alle diese Diagnosen und Krankheitsbilder hatten eins gemeinsam: Sie gaben mir eine Identität, befreiten mich von der Verantwortung für mein Handeln und gaben mir Medikamente an die Hand, die mich meine Gefühle weniger spüren ließen. Am Ende nahm ich alle Medikamente plus Alkohol und Drogen zusammen, doch der Schmerz wurde nicht weniger, im Gegenteil.

Natürlich war mir diese Vermeidungsstrategie dahinter damals nicht bewusst. Tatsächlich hatte ich ja alle diese Symptome und ich kann nicht behaupten, dass ich ärztlich falsch behandelt worden wäre. Trotzdem schlugen die Therapien nicht so an, dass ich mich irgendwie gesünder oder wohler in meiner Haut gefühlt hätte, ich fühlte mich oftmals sogar noch kränker. Und meine Sucht wurde immer stärker.

Bei den meisten Menschen sind Drogen und Alkohol eher ein Symptom einer tiefer liegenden Problematik, als die eigentliche Ursache. Im Umkehrschluss bedeutete das für mich natürlich, dass ich, wenn ich die Grundproblematik und meine Gefühle in den Griff bekomme, ich auch nicht mehr so oft zu meiner Medizin greifen muss.

 

Klingt logisch, funktioniert aber nicht!

 

Theoretisch wäre es die ultimative Lösung (Morgens Traumarbeit, Mittags aktiv Gefühle fühlen lernen und abends zur Belohnung einen gemütlichen Joint und ein Feierabendbierchen), aber praktisch haut es, zumindest bei mir, einfach nicht hin. Ich habe es in Therapien und mit zahlreichen spirituellen Workshops versucht.

Was fehlt?

Diese vielzitierte “Lücke zwischen Theorie und Praxis” ist gerade bei uns Süchtigen eher eine Schlucht als ein harmloser Spalt. Als Süchtiger ist es in der Theorie auch absolut im Bereich des Möglichen, ab morgen für immer aufzuhören, in der Praxis klappt es aber nie. Manche, ich zum Beispiel, brauchen Jahre um zu erkennen, dass sie nicht ihr theoretisches Ich sind, das jederzeit aufhören kann, sondern dass sie ihr praktisches Ich sind, dass jeden Tag trinkt, obwohl es nicht will. Es ist eben nicht das gleiche, den Weg zu wissen oder ihn zu gehen.

 

Aber warum klappt es denn nicht zu genesen ohne das geliebte Suchtmittel wegzugeben? Ich vermute es liegt daran, dass die ungefühlten Gefühle schlichtweg nicht an die Oberfläche kommen, wenn wir weiter unseren süchtigen Mustern frönen und von Substanzen vernebelt sind. Zumindest nicht in Gänze. Und dass wir, solange wir aktiv in unserer Sucht stecken, einfach nicht in der Lage sind nicht zu konsumieren, wenn es gefühlsmäßig brenzlig wird und wir anfangen uns extrem unwohl zu fühlen. Dann belügen wir uns lieber selbst und gehen überall hin, aber nicht durch die unangenehme Situation hindurch. Das genau macht uns ja zu Süchtigen. Wir haben schlicht nicht gelernt mit negativen (oder auch mit extrem positiven) Gefühlen umzugehen, wie wissen einfach nicht wie es geht. Die einzige wirklich funktionierende Strategie, die wir dafür haben, ist die Flucht in unsere Sucht.

Und was ist die Lösung?

Was bei mir letztlich funktioniert hat, war mit Hilfe der Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker und der 12-Schritte die Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen und mich nicht mehr in irgendeine Krankheit zu flüchten. Paradoxerweise musste ich dafür jedoch noch einmal eine weitere Krankheit für mich akzeptieren, um davon frei zu werden. Erst nachdem ich vollständig annehmen konnte, dass ich Alkoholikerin bin, war ich in der Lage mit dem Trinken und den Drogen aufzuhören und plötzlich änderte sich alles.

Sobald ich aufgehört hatte meinen Körper zu vergiften, fühlte ich mich Tag für Tag besser. Der innere Kampf hatte endlich ein Ende und mein Gefühlsleben entspannte sich. Endlich konnte ich eine verlässliche Freundin/Schwester/Angestellte sein, einfach weil ich da war und nicht ständig verkatert, depressiv oder betrunken, was mir wiederum zu einem neuen Selbstbewusstsein und einem positiveren Selbstbild verhalf. Die Depressionen wurden deutlich weniger und bereits nach zehn Monaten der Trockenheit konnte ich die Antidepressiva endgültig absetzen.

 

Natürlich ist heute nicht alles plötzlich rosarot, nur weil ich keinen Alkohol mehr trinke. Ängste, Selbstzweifel und depressive Stimmungen sind nicht plötzlich verschwunden, sondern holen mich das eine oder andere Mal auch noch richtig böse ein. Was mir hier vor allem hilft, ist akzeptieren. Im vollständigen Annehmen und Anfühlen all dieser Stimmungen und der dahinter liegenden Gefühle, können sie heilen. Manchmal ist es gut die Gefühle einfach dasein zu lassen, ohne sie verändern zu wollen.

Eckart Tolle schreibt in seinem Bestseller “Jetzt!- Die Kraft der Gegenwart”: “Aufmerksamkeit bedeutet nicht, dass du darüber nachdenkst. Sie bedeutet, das Gefühl einfach zu beobachten, es zu fühlen und es damit anzuerkennen und so zu akzeptieren, wie es ist. Einige Gefühle sind leicht identifizierbar: Wut, Angst, Kummer und so weiter. Andere sind nicht so leicht zu erkennen. Das können vage Gefühle von Unruhe, Schwere oder Enge sein, irgendwo zwischen einer Emotion und einem körperlichen Gefühl. Es geht jedenfalls nicht darum, das Gefühl zu benennen, sondern darum, es so weit wie möglich ins Bewusstsein zu bringen. Aufmerksamkeit ist der Schlüssel für Transformation – und volle Aufmerksamkeit bedeutet auch Annehmen.”

Ein Gastbeitrag von Céline.

 

photo credits: Kenrick MillsStephen Arnold  // unsplash


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Kommentare: 5
  • #1

    Thomas (Freitag, 26 Juni 2020 19:36)

    Vielen Dank für diesen Text. Er hat mich berührt und regt zum nachdenken an.
    Dankeschön für die gute Zusammenfassung!

  • #2

    Mari (Dienstag, 30 Juni 2020 14:32)

    Ich bin eine Mutter, die 2 drogensüchtige Kinder hat. Mein Weg begann vor ca. 10 Jahren. So lange kämpfe ich, um die Gesundung meiner Söhne. Mittlerweile habe ich keinen Kontakt mehr zu meinem 30 jährigen Sohn. Der Jüngere kämpft gerade immer noch. Ein auf, ein ab. Ich bin traurig, weil ich nicht helfen konnte und ich bin wütend, weil ich keinen Mittelweg finden konnte. Mir ist klar geworden, auch ich bin noch da und ich möchte auch noch bleiben. Ein Leben, dass nicht mehr ist wie es war und nicht mehr sein wird wie es war. Wie viel verlorene Zeit auf der einen auf der anderen Seite. Einen Sinn dahinter gibt es nicht. Warum, weshalb, diese Fragen werden nicht beantwortet. Es passiert einfach. Dir mir, oder jemand anderen. Ich hoffe, ich sehe beide wieder, so gesund wie es irgend geht. Es sind meine Kinder, so wie sie gerade sind.
    Ich wünsche allen Süchtigen das Beste was es zu wünschen gibt, allen Angehörigen und Freunden von Süchtigen, bleibt bei euch. Trennt Euch immer wieder von den angstvollen Gedanken bzw. Situationen und bleibt bei Euch, es kann nichts geändert werden, was in jenen Moment nicht geändert werden will. Gönnt Euch kleine Freuden ohne den angstvollen Gedanken an die Sucht und das was doch alles passieren könnte. Es kommt immer anders, schlimmer oder besser ich habe beides erlebt. Achtet auf Euch. Es ist unmöglich einen Menschen zu ändern, der es noch nicht kann. Ich hatte das Bedürfnis einfach jetzt was zu schreiben, weil ich dabei bin meine Sackgasse zu akzeptieren. Die Details zu einem Leben mit Süchtigen, kennen wir hier alle.

    Ich wünsche allen bleibt gesund, werdet gesund.... Liebe Grüsse Marie

  • #3

    Sabrina Röderer (Samstag, 05 September 2020 07:51)

    Danke für deinen Weg.
    Gerade jetzt müssen wir erkennen, dass wir unter System Sucht leiden.
    Das ist fett widerlich zu erkennen, dass unser Konsum andere ausbeutet. Und andere sind mit dem selben Herzfluss verbunden wie wir.
    Dein Weg gibt Mut zur Einsicht und Lösung.

  • #4

    Manu (Sonntag, 15 November 2020 19:55)

    auch ich bin Mutter eines Süchtigen. Viele Jahre der Verzweiflung liegen hinter mir, meinem Mann, der restlichen Familie und natürlich auch hinter meinem Sohn. Er ist nicht absichtlich süchtig, es ist irgendwann passiert. Als der Moment kam und er Hilfe annehmen wollte und konnte, war zumindest bei mir als Muter jede Verzweiflung, Wut, Enttäuschung, Angst manchmal sogar Hass wie weggeblasen... Es fehlte die Liebe, sie war verschwommen sicher immer vorhanden, aber völlig vernebelt. Diese Liebe hat mein Sohn gebraucht und wir konnten sie ihm nicht geben. Dafür schäme ich mich heute.
    Er ist nun über 4 Monate Drogenfrei !! und doch steht er erst am Anfang. dass weiß er auch auch.
    Und doch kann er sehr sehr stolz auf sich sein, wir sind es auch. Heute weiß ich wie wichtig es für mich ist, mein Kind niemals aufzugeben, mich selbst dabei aber nicht zu vergessen! Ein schwieriger Drahtseilakt.
    Ob es so bleibt, einen Rückfall gibt, wer weiß das schon? Die Kraft es ein weiteres Mal zu versuchen wünsche ich dann meinem Sohn, und uns die Kraft weiter hinter ihm zu stehen.

  • #5

    Hdi rbw (Montag, 30 November 2020 12:36)

    Er hilft mir, meinen Ex-Mann mit seinem Liebeszauber zurückzubringen. Fügen Sie ihn auf WhatsApp +2348054681416 hinzu